Texte Loewigs zu Leben und Werk
Zu meinen Bildern (1967)
Wo alles zertreten wurde, jede Bindung an das Leben, jede Sehnsucht, jede Hoffnung, und als Asche die Felder zuschneite, den Wind versengte – du oder ich oder beide hätten dort ebenso verbrannt werden können – zerriss in mir das Streben nach bedenkenlosem Vorwärtskommen.
Von dieser Asche ist mein Herz überschüttet, so dass alles, was ich anfange, verdunkelt bleibt, so dass in meine Gedanken, meine Liebe, in den Glauben an unaustilgbare Güte sich Schatten einnisten, die nicht weichen wollen, so dass ich mit dieser Asche im Herzen nicht mehr froh bin, nicht mehr wage, mich irgendeinem Glück hinzugeben, denn alles Glück, alle Liebe, der Glaube an den Menschen, an Gott, alle Sehnsucht, das zählte nichts in den Höllen, die wir eingereichtet haben, teuflischer als sie der düsterste, krankhafteste Phantast hätte ersinnen können, deren schaurige Ableger dem Erdplaneten weiter anhaften.
Inmitten einer Welt des Wohllebens, der breiten Betonstraßen voller blitzender Autos neben schimmernden Hochbauvierteln, in der Welt des Luxus und des Glanzes, eines sehr zweifelhaften und unsicheren Glanzes, wie es mir erscheinen will, umgeben mich Hiroshima, Maidanek, Theresienstadt, die Massengräber in der Ukraine, die von Napalm und Phosphor ausgelöschten Äcker und Städte, die Schädelstätten und Schlachtfelder des aufgeklärten, zivilisierten 20. Jahrhunderts, seine Kerker und unterirdischen Folterkammern.
In meinen Gleichnissen habe ich sie heraufbeschworen als Mahnung an uns, als einen grauenhaften Spiegel entsetzlichen Versagens, als Warnung für Nachkommende und nicht zuletzt aus dem Schuldgefühl vor jenen, denen ich nicht anders helfen kann, als ihren Opfergang, ihre Angst, ihre Verzweiflung, ihr Heldentum umzudeuten in Szenerien verschütteter Welten.
Veröffentlicht in: Roger Loewig. Unter den Häuten der Stadt. Erzählungen. Berlin 2004
Zu meinen Zeichnungen (1967)
Niedrig gehügeltes weites Land, schmal fruchtbödig und in der Breite sandig, heidig, gestrüppig, aber mit einem fernen und tiefen Horizont, der wenig gewölbt ist über Dunstschleiern von Sümpfen und einsamen Seen, und zum Schluß dann die auslaufenden Küstenstreifen, hier und da zum Bollwerk gekrümmt, Phalangen dürrer Waldzeilen dazwischen, verbittert mit Stürmen kämpfend, so erstreckt sich wie eine riesige ruhigatmende Brust die Landschaft, die ich zu lieben begann und in die meine Wurzeln sanken.
Gleichnishaft tauchen die Füße der Wesen, die den Ebenen meiner Zeichnungen eingraviert sind, als Wurzelgebilde, als spitz ausendende Stangen in dürftige Äcker, in Sümpfe und Dünen, in leere Flussbetten, zum Symbol geworden des Verwurzeltseins, des trotzig sich Behauptens im Hungerland, im Windland, im Ödland.
Wo unentwegt zähes, stummes Ringen mit Frost, mit steinigen Gründen, mit eisig schorfenden Böen oder mit übergroßer Trockenheit, mit sengendem weißem Licht oder mit unablässig aufsteigender Nässe, mit einschließendem, klebendem Schlamm – die nachbarliche Wärme in engen Forsten macht stumpfgesichtig und fromm – den einsamen Bäumen, Gesträuchen, den schwerfällig kriechenden Erdbewohnern und distelstacheligen Pflanzen, den des jährlichen Wegziehens müden breitarmigen Vögeln skurriles Aussehen verlieh, überzählige Hände, Füße, Fühler und Federn wachsen ließ zum Festsaugen, zum Festkrallen, zum Standhalten, da fand ich die Bilder für eigenes und verwandtes Ringen, für die unhörbaren Leiden und die laut herausgebrüllten, für die verzweifelten dumpfen und die leuchtenden hellen Leidenschaften der Menschennatur.
Veröffentlicht in: Roger Loewig. Unter den Häuten der Stadt. Erzählungen. Berlin 2004
Porträt Ikarus (1968)
Der Sage von Anfang an entfremdet, mit ihr nur äußere Namens- und Geschehensübereinstimmung bewahrend, wuchs die Arbeit mehr und mehr ins Vielfältige und in andere Bereiche, erfasste die Dimension eigener Alpträume, gestaltete sich in bedrückenden, öden, vielleicht wenige Jahre davor mir hinter Gefängniswänden erschienenen helldurchsichtigen, krankfarbigen, tieffernigen und unwirklichen Landschaftsgebilden und wurde schließlich zu einem umschriebenen, für mich aber überdeutlichen Selbstporträt.
So soll es eingestanden sein nach Erkennen des Sachverhalts.
Flug und Sturz mit fremdem Gefieder, erneuter Flug und unausbleiblicher zweiter Sturz mit eigenem, die Unfähigkeit, irgendwo zu landen und zu bleiben, die Krankheit des Zerrissenseins, die nach allen Seiten hin wehrlosen und zerbrochenen Arme und Hände, die entstimmbänderte Kehle und immer wieder der losgerissene Kopf mit dem Blick aus dichtbeliderten Augen – Abwehr vor der Grelle des zu Sehenden – auf Abhänge hinunter, in verstörte und verstellte Panoramen, die Kainsmale der Erde mit den anhaftenden unverlöschlichen Zeichen des Todes, das Aufbegehren, die Fluggedanken, in deren Verwirklichung schon der Absturz geistert, das in unentwirrbare Fesseln verknotete Flugversuchen und das endliche Gleiten und Versinken in einen Sumpf weit hinter der Vorhölle, wo nochmaliger Flug sinnlos ist, ein Rufen nicht mehr hörbar, das Fortbestehen belanglos, so wohnt in mir Erlebtes und Nacherlebtes, so lähmt mich verwandtes Verschüttet- und Gefurchtsein, so kriecht schon in die Faust neben allem Mut zur Arbeit, neben dem Glauben an ihre Gültigkeit und ihre Zugehörigkeit zu den Flüchen aus den Dunkelereignissen gegenwärtiger Tage, zu der großen, viele peinigenden Angst vor der Zukunft die Ahnung des nicht mehr Fliegenkönnens.
Veröffentlicht in: Roger Loewig. Unter den Häuten der Stadt. Erzählungen. Berlin 2004
Bemerkungen zu meinem Leben – Lebenshintergrund meiner Bilder (1966)
Als ich neun Jahre alt wurde, erhob sich zum ersten Auftritt, nach mancher infernalischen Szene im Proszenium, der Vorhang für das schaurigste Drama unserer Tage: Deutschlands Einfall in Polen, der Ausbruch des zweiten Weltkrieges. 27 Jahre später ist es diese Galerie Warschaus, der Hauptstadt des über viele Zeiten gequälten tapferen polnischen Volkes – gequält nicht zuletzt von den Deutschen –, die mir, einem deutschen Künstler, die erste Ausstellung ermöglicht. In den knappen drei Jahrzehnten zwischen den genannten Ereignissen vollzog und vollzieht sich der Reifungsprozess eines Menschen, der sein Heimatland bitter hassen lernte, um es später doch wieder zu lieben, unlöslich mit ihm verkettet durch Sprache, Freundschaften und Schicksal
Die ersten Kriegstage fanden mich in der niederschlesischen Provinzstadt Oels an eine Straßensperrung gelehnt, den an- und abrollenden Kriegsmaschinen nachgaffend, mitvibrierend mit dem Gerassel und Gedröhn, ringsum nationale Größenwahnhysterie, eine Woche darauf erschienen die Spalten der Gefallenenanzeigen. Die nächsten Jahre verbrachte ich in einer Kleinstadt des besetzten Polens. Von einer der letzten Wogen des in Agonie sich windenden Krieges wurde auch ich erfasst und zum Panzergräbenbau in die Wartheniederungen unweit Lodz’ geworfen. Erschöpft, krank, behaftet mit unsagbarem, unauslöschlichem Ekel vor allem Militanten kehrte ich zu dem Zeitpunkt nach Hause zurück, da das Unbehaustsein begann, das Umhergestoßenwerden, das ziellose Dahintreiben auf den Landstraßen quer durch Deutschland. Wie eine Lawine verschüttete mich, ein halbes Kind noch, empfindungsgeschärft und empfänglich, die Wahrheit über die deutschen Verbrechen, die Bilder und Dokumente aus Auschwitz, Maidanek, Theresienstadt, die Perlenschnur getöteter Säuglinge hinter den Zäunen Sachsenhausens. Dann Waldarbeiter, Landarbeiter, Inhaber oder Nichtinhaber befristeter Aufenthaltsgenehmigungen, zwischendurch unregelmäßiger Schulbesuch, Bemühungen um die Aufnahme eines Studiums, die jedoch von vornherein zum Scheitern verurteilt waren durch sehr mangelhafte und fehlende Zeugnisse, wegen Überfüllung der Universitäten, Eigenbrödler, Ignorant und Trotzkopf, eigensinnig, böse, ungerecht, musste mir jedes Unternehmen misslingen, wurde alles zum Überdruß. Zwei Möglichkeiten boten sich mir, Erlebtes und Bedrückendes zu reflektieren und loszuwerden: das Schreiben, das Malen und Zeichnen. Ich habe beide Möglichkeiten ununterbrochen versucht.
In einer Lebensperiode relativer Beruhigung und Klärung, der Aussöhnung mit mir selbst, fasste ich den Entschluß, Lehrer zu werden. Zehnjährige Lehrarbeit an Berliner Schulen gab meinem Handeln den langgesuchten, sichtbaren Sinn, aber nebenbei entstand ein lückenhaftes, unausgegorenes, mich mehr und mehr peinigendes literarisches und malerisches Stückwerk. 1964, nach einem Jahr zerrüttender Krisen und Konflikte, brach ich mit jenem Doppelberuf zugunsten des einen, des vagen und noch unfixierten. Es folgten der Austritt aus der Lehrtätigkeit, die Aufnahme in den Verband Bildender Künstler Deutschlands, die freiberufliche Existenz als Maler und Graphiker und der Neubeginn der künstlerischen, jetzt vorwiegend graphischen Arbeit.
Veröffentlicht in: Roger Loewig: Paria. Hannover 1968. Roger Loewig. Zeichnungen und Lithographien. Ausstellungskatalog Berlinische Galerie 1988/89