Tschernobyl, 26. April 1986

Katastrophe (Tschernobyl), 1987, Buntstift, 40 x 30 cm

Wir wissen nie, was durch die Nacht zieht:
Ein Föhn, ein Regen, ein Gewitter,
ein Schneesturm oder schon der Tod,

sehr späte Gäste, die noch hoffen,
daß sie hier länger wohnen dürfen.
Verflucht sei alle Wohnungsnot!

Wir wissen nie, was durch die Nacht zieht:
Die Angst, der schweren Träume Schatten
Und, was am schlimmsten ist, ein Krieg.

So laß dein Fenster immer offen
dem müden Nachzügler, dem Flüchtling,
und bleib. Doch wenn es sein muß, flieg!

Flieg mit dem Kranich, mit der Wildgans,
flieg mit den Zögernden, den Matten,
flieg mit dem Schneesturm, mit dem Tod.

aus Roger Loewig: Ein Kopf fliegt als Mond über dieses Land – Gedichte.
Berlin, Oberbaum Verlag, 2002