Die reich illustrierte Publikation stellt Künstlerinnen und Künstler vor, die in der DDR der 1950er- und 1960er-Jahre wiederholt dem Vorwurf des „Formalismus“ ausgesetzt waren. Die Darstellung dieser frühen Kunstopposition führt eindringlich vor Augen, wie ziel- und selbstsicher Maler und Grafiker auch in Phasen rigider Kulturpolitik an der Autonomie der Kunst festhielten und durch ihr beharrliches Austesten und mutiges Überschreiten gesteckter Grenzen sukzessive zu einer Weitung des künstlerischen Korsetts beitrugen. Die Vorstellung repräsentativer Bilder von rund 30 Künstlern sowie die Untersuchung beispielhafter Werkgenesen ermöglichen einen differenzierten Blick auf die Kunst der frühen DDR, bei dem weniger die Kunstpolitik als vielmehr das Kunstwerk selbst Gegenstand der Befragung und Bewertung ist.
Anna-Carola Krausse
Andere Horizonte. Ostdeutsche Nachkriegsmoderne im Schatten des Sozialistischen Realismus
368 Seiten mit 300 farbigen Abbildungen und 3 Ausklappseiten,
24 × 28 cm, HardcoverISBN: 978-3-422-07483-5
Preis: 45,00 €
Die Ausstellung ist die erste gemeinsame Präsentation beider Standorte des BLMK. Noch bis zum 13. Oktober werden in der Rathaushalle Frankfurt (Oder) und im Dieselkraftwerk Cottbus 180 Grafiken und 20 Skulpturen von 4 Künstlerinnen und 31 Künstlern gezeigt. In Frankfurt sind u.a. sechs Lithographien von Roger Loewig aus der Serie Epitaphe (1972) zu sehen, die das Schicksal des polnischen Arztes und Pädagogen Janusz Korczak und den Kindern des von ihm geleiteteten jüdischen Waisenhauses im Warschauer Ghetto thematisieren.
Anna-Carola Krausse
Andere Horizonte
Ostdeutsche Nachkriegsmoderne im Schatten des Sozialistischen Realismus
ca. 320 Seiten mit 300 farbigen Abbildungen, 24 × 28 cm, Klappenbroschur
ISBN: 978-3-422-07483-5
Preis: ca. 34,90 €
Vorgestellt werden Künstler wie u.a. Achim Freyer, Dieter Goltzsche, Roger Loewig, Hanfried Schulz oder Horst Zickelbein…
Die reich illustrierte Monographie widmet sich erstmals umfänglich künstlerischen Positionen in der DDR der fünfziger und sechziger Jahre, die im heutigen Kanon und öffentlichen Bewusstsein kaum mehr präsent sind. Im Zentrum stehen Künstler, die wiederholt dem Vorwurf des »Formalismus« ausgesetzt waren. Die Darstellung dieser frühen Kunstopposition (die nicht zwangsläufig mit einer politischen einherging) führt eindringlich vor Augen, wie ziel- und selbst-sicher die Maler und Graphiker an der Autonomie der Kunst festhielten, als die Machthaber der kulturstalinistischen Ulbricht-Ära nach einem staatskonformen Sozialistischen Realismus verlangten. […] Die Untersuchung repräsentativer Bilder sowie die Vorstellung beispielhafter Werkgenesen von annähernd 30 Künstlern ermöglichen einen differenzierten Blick auf das Schaffen in der DDR, bei dem weniger die Kunstpolitik als vielmehr das Kunstwerk selbst Gegenstand der Befragung und Bewertung ist.
Roswitha Schieb
Risse.
Dreißig deutsche Lebensläufe
(u.a. Roger Loewig)
320 Seiten, 158 x 235 mm, Festeinband
ersch. November 2019
ISBN 978-3-86732-324-6
Preis 24,90 €
Roswitha Schieb beschreibt und befragt die Lebensläufe von dreißig Schriftstellern, Künstlern, Schauspielern, Wissenschaftlern oder Politikern aus den letzten zweihundert Jahren, in deren Biografie und Werk sich die Verwerfungen der deutschen Geschichte wie in einem Brennspiegel offenbaren. Dreh- und Angelpunkt all ihrer Studien ist die Zeit des Nationalsozialismus einschließlich seiner Vorgeschichte und seiner langen Nachwirkungen. Dabei beleuchtet sie besonders solche Persönlichkeiten, deren Wege abseits des Mainstreams verliefen und verlaufen. Bei den Porträtierten handelt es sich oft um Menschen, die nicht auf der Siegerseite standen und daher mit zwiespältigen Gefühlen und wacherem Blick wahrnehmen konnten, was mit ihnen und um sie herum geschah. Verstricktheit und Aufbegehren, Widersprüchlichkeit und Widerstand, Scheitern und Aufbruch werden in ihren vielfältigen Ausprägungen gezeigt. Dabei stehen stets die Auswirkungen der »großen Geschichte« auf die Einzelschicksale im Fokus.
Anna Schädlich – „O Ikarus, um deinen Flug beneid ich dich.
Roger Loewig: Maler Zeichner, Dichter und Freund.“
Von Johannes Vesper
In diesem Februar 2018 leben wir länger ohne die Mauer in Berlin als mit ihr. Die pioniertechnische Anlage quer durch Berlin und Deutschland verhinderte die Flucht aus der DDR. Nur die Vögel konnten unproblematisch die Grenze überfliegen und Ikarus hätte es auch gekonnt, vor seinem Sturz. Roger Loewig (1931-1997), Maler, Zeichner und Dichter, beneidete ihn, fand sich in seinem Mythos wieder. Höhenflug und Absturz kennzeichnen auch seine Künstlerexistenz. Anna Schädlich legt jetzt eine literarische Biographie vor, um Leben und Werk dieses bedeutenden Künstlers zu bewahren. Der Ikarus-Mythos hat es in sich: Der Vater-Sohn-Konflikt endet mit dem Todessturz des Sohnes. Für Roger Loewig war nicht nur die Auseinandersetzung mit seinem eigenen Vater problematisch, sondern vor allem die mit der Väter-Generation und ihrer Verbrechen in der Nazi-Zeit. Unter den Verhältnissen der DDR hat er selbst zu leiden gehabt. Das alles liegt Jahrzehnte zurück und die Geschichte muß für jede folgende Generation neu aufgeschrieben werden, worauf Christoph Meckel in seinem offenen Brief an Roger Loewig (DIE ZEIT 21.10.1977) schon hingewiesen hat: „Sie müssen jetzt entdeckt werden“ Er meinte, Loewigs Lyrik, sein Weltbild, seine Landschaften, seine Unmenschenwelt, sein Zorn, seine Zeichnungen, Druckgraphik und Bilder sollten nicht in überfüllten Schubladen ungelesen und ungesehen ruhen. Immerhin gab es mehr als 100 Einzelausstellungen. Zahlreiche Bücher und Kataloge wurden publiziert. Seit 1998 gibt eine Roger-Loewig-Gesellschaft und seit 2008 ein ihm gewidmetes Museum in Belzig
Anna Schädlich hat Roger Loewig noch selbst im wahren Wortsinnkennen gelernt und stellt in ihrem Buch „O Ikarus, um deinen Flug beneid ich dich.“ sein Werk und Leben vor.
Roger Loewig wurde in Striegau/Schlesien geboren. Sein Vater, Angestellter im Arbeitsamt dieser kleinen Stadt, trat 1933 der NSDAP bei. Die Ehe der Eltern war nicht unproblematisch. In der Schule nur mäßig erfolgreich, erlebte Roger Loewig das Kriegsende und seine Flucht aus Schlesien als ein schweres Trauma: Er selbst hatte als Dreizehnjähriger in den Warthegräben bei Lodz Panzergräben gebaut. Er sah „die Scharen Heimatloser, Ausgesiedelter Flüchtender, die Entwurzelten, Gescheiterten, Verstümmelten“ auf der Flucht, erreichte am 14.02.1945 das zerstörte Dresden und sah seine Chance im Schreiben, Malen und Zeichnen „auf Asche und Ruinen“(Jaroslaw Serpan). Als Hilfs- und Forstarbeiter ohne Schulabschluß überstand er die unmittelbare Nachkriegszeit in der Lausitz. Der Vater hatte sich von der Familie getrennt. R.L. besuchte ihn 1947 und durchschwamm – die Brücken waren gesprengt – auf dem Weg nach Göttingen die Elbe bei Dömitz, eine existentielle Erfahrung, die sich in seinem zeichnerischen und literarischen Werk niederschlägt. 1953-1963 konnte er als Lehrer für Russisch, Deutsch und Geschichte in Berlin arbeiten und dabei seiner „Malgier“ und literarischen Interessen nachgehen. Aus Kostengründen gab er aufgrund chronischen Geldmangels die Ölmalerei auf, machte aus der Not eine Tugend und zeichnete fortan mit Kugelschreiber, Blei- und Buntstiften. Daß die Zeichnung nicht unbedingt „billiger, schneller zu bewältigen, einfacher zu verstauen, zu transportieren, zu verstecken“ ist, erkannte er erst, „als er sich mit ihr abquälte“ (Reminiszenzen“ R.L. 1992).
Mit seinem autobiographischen Zyklus „Aus meinem Leben“ (1961-63) verarbeitete er auf 42 Blättern Flucht, Krieg, Nazi-Verbrechen und den Bau der Mauer, den in Berlin „zugemauerten Himmel“. Nach einer ersten Ausstellung 1963 bei Freunden in Berlin/Ost wurde R.L. verhaftet. Verhöre der Staatssicherheit und Bedingungen der monatelangen Untersuchungshaft schildert Anna Schädlich anrührend. Sein Werk wurde 1963 bei der Verhaftung konfisziert und großteils vernichtet. Sein „Zusammendenken von Kunst und Sittlichkeit, Kunst und moralischer Verantwortung für das gesellschaftliche Tun“ (Wolfgang Thierse 2000) paßte nicht in DDR, war dort nicht erwünscht. In den Gerichtsprotokollen zum Fall Loewig heißt es: „ Der Beschuldigte Loewig fertigte im großen Umfang Gemälde Zeichnungen und Gedichte, deren Inhalt sich hetzerisch gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR…richtete“ und „er setzte seine künstlerischen Fähigkeiten dafür ein, Pessimismus, Verlassenheit und Verzweiflung darzustellen…“. Die zwei Jahre Zuchthausstrafe wurden zur Bewährung ausgesetzt, da er zusammen mit 29 anderen Häftlingen von der Evangelischen Kirche in Deutschland freigekauft werden konnten (1 Million DM für Titansand und Butter).
Freunde boten ihm nach der Haftentlassung ihr Haus in Bad Belzig an. Es handelt sich um ein Haus im Schweizer Stil (Historismus um 1900), welches mit Apfelbäumen und Stauden im Garten hoch über der Eisenbahn Berlin/Leipzig liegt und einen schönen Blick über die Altstadt von Belzig und den hügeligen Hohen Fläming bietet. Hier fand R.L. eine Arbeits- und Lebenssituation, in der er künstlerisch aktiv werden konnte und entschied bald, sein Leben ganz der Kunst zu widmen. Seine Blätter zeigen weite, karge Landschaften mit bizarren Bäumen, greifenden Ästen, zeigen fast immer mit einem blassen, nur selten intensiv farbigem Mond oder einer Sonne am Himmel einsame Straßen, im Feld stehende Eisenbahnzüge, absurde Schiffe, trockenliegend auf dem Ufer, fliegende Fische, nackte Leiber in und auf der Erde, erlebte und gezeichnete Öde. Bei Hagelberg, unmittelbar neben Belzig gelegen, liegen seit 1813 tatsächlich tausende tote Franzosen und Preußen nach der Schlacht gegen Napoleon in der sandigen Erde. Russische und deutsche Soldaten kamen im 2. Weltkrieg dazu. Loewigs gegenständliche Welt, seine surrealistische Wirklichkeit erklärt sich aus seiner Biographie. Köpfe, schwarze Vögel, Flugzeuge oder Papierflieger symbolisieren ihn als den Ikarus des 20. Jahrhunderts in Mitteleuropa. R.L. versuchte, unzeitgemäß und immer querköpfig, „die Angst der Zeit zu deuten…, und die Bedrohung der Existenz,… die Alpträume und Visionen nuklearer Vernichtung … aus zitternder Sorge um das Menschenbild und aus zärtlicher Zuneigung zu ihm“ darzustellen.
In diesen Tagen 2018 denken die 68er, die gealterten Wohlstandskinder des deutschen Wirtschaftswunders, wehmütig an ihren Aufbruch vor 50 Jahren zurück. In die Welt der Beatles und Blumenkinder passte Roger Loewigs Sicht der Dinge nicht. Aber gegen den damaligen Zeitgeist gründeten 1966 engagierte Studenten und Freunde im Westen die „Gesellschaft der Freunde Roger Loewigs“, verbreiteten und verkauften seine Lithographien auch bei Galerien und trugen so zum Lebensunterhalt des Künstlers bei. In der DDR konnten nach der Haftentlassung von seiner unermüdlichen Lebensgefährtin erneut Kontakte geknüpft und Ausstellungen organisiert werden, z.B. in der Erfurter Ateliergemeinschaft. Darüber wurde der Leiter des Dresdener Kupferstichkabinetts Schmidt und seine Mitarbeiterin Irena Jakimowicz, die spätere Direktorin des Warschauer Nationalmuseums, auf Roger Loewig aufmerksam. So kamen 1966 und 1986 Ausstellungen im Warschauer Nationalmuseum zustande. 1992 bildeten Loewigs Epitaphe die erste Ausstellung eines deutschen Künstlers im Lagermuseum des KZs Auschwitz.
Nach der Übersiedlung in die damalige Bundesrepublik 1972 erhielt R.L ein Stipendium für die Villa Massimo. Seine große Ausstellung 1975 bei der Galerie Baukunst in Köln wurde in der Kunstwelt zur Kenntnis genommen. Aber im Westen, wo sich der Ökonomismus anschickte, die gesamte Gesellschaft zu durchdringen, wo Wachstum und Profit die Verhältnisse zunehmend bestimmten, fühlte er sich, auch hier unzeitgemäß und querköpfig, lange Zeit nicht wohl, trotz privater Ausstellungen bei Freunden in Wuppertal und Berlin, in Norwegen und England und Reisen z.B. 1985 auch nach Zeeland, wo im Haus von Freunden einige schöne und Zeichnungen bzw. Aquarelle entstanden. Aber zurück zu seinem geliebten Hohen Fläming mit den „uralten Feldsteinkirchen wie Schiffe im weiten Roggenmeer“ konnte er erst nach der Wende. Roger Loewig, „dessen Blätter nicht schockieren und kein Geschrei erheben“ starb 1997 nach längerer Krankheit. Seine Blätter „möchten wie ein leiser Hauch sein, der die Stirnen berührt als Mahnung … als Warnung vor der Zerstörung der Erde und ihrer Lebewesen, als eine Bitte um Menschlichkeit“.
Anna Schädlich stellt mit ihrem Buch empathisch und sachkundig Leben und Werk Roger Loewigs vor, welches geprägt wurde durch die Katastrophen des 20. Jahrhunderts und die Verhältnisse in der DDR der 50er und 60er Jahre. Die Autorin vermischt teilweise ihre eigene Biographie mit der Loewigs, berichtet über persönliche Erfahrungen und Gespräche mit ihm und seiner Lebensgefährtin Creszentia Troike, zitiert aus seinen Schriften und präsentiert Briefe. Die Stasi-Unterlagen Loewigs und seiner Freunde hat sie eingesehen und mit verarbeitet. Auf ca. 30 Seiten finden sich gute Farbfotos von Loewigs Blättern. So entstand ein facettenreiches, authentisches, lesenswertes und fesselndes Bild dieser wichtigen, deutschen Künstlerexistenz des 20. Jahrhunderts. Buchpublikationen von Roger Loewig, Ausstellungskataloge und weitere Quellen werden im Anhang aufgelistet.
Die Autorin, geb. 1973 in Berlin (Ost) reiste mit ihrer Familie 1977 in die Bundesrepublik aus. Sie studierte Kunstgeschichte, Germanistik und Philosophie.
–> Buchpremiere: Lesung und Gespräch: Anna Schädlich, Moderation: Marko Martin
Mo., 12.03.2018, 20 Uhr, Literaturforum im Brecht-Haus, Chausseestraße 125, Berlin-Mitte