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Rezension: Ein empathisches Porträt

Anna Schädlich – „O Ikarus, um deinen Flug beneid ich dich.
Roger Loewig: Maler Zeichner, Dichter und Freund.“

Von Johannes Vesper

In diesem Februar 2018 leben wir länger ohne die Mauer in Berlin als mit ihr. Die pioniertechnische Anlage quer durch Berlin und Deutschland verhinderte die Flucht aus der DDR. Nur die Vögel konnten unproblematisch die Grenze überfliegen und Ikarus hätte es auch gekonnt, vor seinem Sturz. Roger Loewig (1931-1997), Maler, Zeichner und Dichter, beneidete ihn, fand sich in seinem Mythos wieder. Höhenflug und Absturz kennzeichnen auch seine Künstlerexistenz. Anna Schädlich legt jetzt eine literarische Biographie vor, um Leben und Werk dieses bedeutenden Künstlers zu bewahren. Der Ikarus-Mythos hat es in sich: Der Vater-Sohn-Konflikt endet mit dem Todessturz des Sohnes. Für Roger Loewig war nicht nur die Auseinandersetzung mit seinem eigenen Vater problematisch, sondern vor allem die mit der Väter-Generation und ihrer Verbrechen in der Nazi-Zeit. Unter den Verhältnissen der DDR hat er selbst zu leiden gehabt. Das alles liegt Jahrzehnte zurück und die Geschichte muß für jede folgende Generation neu aufgeschrieben werden, worauf Christoph Meckel in seinem offenen Brief an Roger Loewig (DIE ZEIT 21.10.1977) schon hingewiesen hat: „Sie müssen jetzt entdeckt werden“ Er meinte, Loewigs Lyrik, sein Weltbild, seine Landschaften, seine Unmenschenwelt, sein Zorn, seine Zeichnungen, Druckgraphik und Bilder sollten nicht in überfüllten Schubladen ungelesen und ungesehen ruhen. Immerhin gab es mehr als 100 Einzelausstellungen. Zahlreiche Bücher und Kataloge wurden publiziert. Seit 1998 gibt eine Roger-Loewig-Gesellschaft und seit 2008 ein ihm gewidmetes Museum in Belzig

Anna Schädlich hat Roger Loewig noch selbst im wahren Wortsinnkennen gelernt und stellt in ihrem Buch „O Ikarus, um deinen Flug beneid ich dich.“ sein Werk und Leben vor.
Roger Loewig wurde in Striegau/Schlesien geboren. Sein Vater, Angestellter im Arbeitsamt dieser kleinen Stadt, trat 1933 der NSDAP bei. Die Ehe der Eltern war nicht unproblematisch. In der Schule nur mäßig erfolgreich, erlebte Roger Loewig das Kriegsende und seine Flucht aus Schlesien als ein schweres Trauma: Er selbst hatte als Dreizehnjähriger in den Warthegräben bei Lodz Panzergräben gebaut. Er sah „die Scharen Heimatloser, Ausgesiedelter Flüchtender, die Entwurzelten, Gescheiterten, Verstümmelten“ auf der Flucht, erreichte am 14.02.1945 das zerstörte Dresden und sah seine Chance im Schreiben, Malen und Zeichnen „auf Asche und Ruinen“(Jaroslaw Serpan). Als Hilfs- und Forstarbeiter ohne Schulabschluß überstand er die unmittelbare Nachkriegszeit in der Lausitz. Der Vater hatte sich von der Familie getrennt. R.L. besuchte ihn 1947 und durchschwamm – die Brücken waren gesprengt – auf dem Weg nach Göttingen die Elbe bei Dömitz, eine existentielle Erfahrung, die sich in seinem zeichnerischen und literarischen Werk niederschlägt. 1953-1963 konnte er als Lehrer für Russisch, Deutsch und Geschichte in Berlin arbeiten und dabei seiner „Malgier“ und literarischen Interessen nachgehen. Aus Kostengründen gab er aufgrund chronischen Geldmangels die Ölmalerei auf, machte aus der Not eine Tugend und zeichnete fortan mit Kugelschreiber, Blei- und Buntstiften. Daß die Zeichnung nicht unbedingt „billiger, schneller zu bewältigen, einfacher zu verstauen, zu transportieren, zu verstecken“ ist, erkannte er erst, „als er sich mit ihr abquälte“ (Reminiszenzen“ R.L. 1992).

Roger Loewig, o.T. (Monde) – Foto © Johannes Vesper

Mit seinem autobiographischen Zyklus „Aus meinem Leben“ (1961-63) verarbeitete er auf 42 Blättern Flucht, Krieg, Nazi-Verbrechen und den Bau der Mauer, den in Berlin „zugemauerten Himmel“. Nach einer ersten Ausstellung 1963 bei Freunden in Berlin/Ost wurde R.L. verhaftet. Verhöre der Staatssicherheit und Bedingungen der monatelangen Untersuchungshaft schildert Anna Schädlich anrührend. Sein Werk wurde 1963 bei der Verhaftung konfisziert und großteils vernichtet. Sein „Zusammendenken von Kunst und Sittlichkeit, Kunst und moralischer Verantwortung für das gesellschaftliche Tun“ (Wolfgang Thierse 2000) paßte nicht in DDR, war dort nicht erwünscht. In den Gerichtsprotokollen zum Fall Loewig heißt es: „ Der Beschuldigte Loewig fertigte im großen Umfang Gemälde Zeichnungen und Gedichte, deren Inhalt sich hetzerisch gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR…richtete“ und „er setzte seine künstlerischen Fähigkeiten dafür ein, Pessimismus, Verlassenheit und Verzweiflung darzustellen…“. Die zwei Jahre Zuchthausstrafe wurden zur Bewährung ausgesetzt, da er zusammen mit 29 anderen Häftlingen von der Evangelischen Kirche in Deutschland freigekauft werden konnten (1 Million DM für Titansand und Butter).
Freunde boten ihm nach der Haftentlassung ihr Haus in Bad Belzig an. Es handelt sich um ein Haus im Schweizer Stil (Historismus um 1900), welches mit Apfelbäumen und Stauden im Garten hoch über der Eisenbahn Berlin/Leipzig liegt und einen schönen Blick über die Altstadt von Belzig und den hügeligen Hohen Fläming bietet. Hier fand R.L. eine Arbeits- und Lebenssituation, in der er künstlerisch aktiv werden konnte und entschied bald, sein Leben ganz der Kunst zu widmen. Seine Blätter zeigen weite, karge Landschaften mit bizarren Bäumen, greifenden Ästen, zeigen fast immer mit einem blassen, nur selten intensiv farbigem Mond oder einer Sonne am Himmel einsame Straßen, im Feld stehende Eisenbahnzüge, absurde Schiffe, trockenliegend auf dem Ufer, fliegende Fische, nackte Leiber in und auf der Erde, erlebte und gezeichnete Öde. Bei Hagelberg, unmittelbar neben Belzig gelegen, liegen seit 1813 tatsächlich tausende tote Franzosen und Preußen nach der Schlacht gegen Napoleon in der sandigen Erde. Russische und deutsche Soldaten kamen im 2. Weltkrieg dazu. Loewigs gegenständliche Welt, seine surrealistische Wirklichkeit erklärt sich aus seiner Biographie. Köpfe, schwarze Vögel, Flugzeuge oder Papierflieger symbolisieren ihn als den Ikarus des 20. Jahrhunderts in Mitteleuropa. R.L. versuchte, unzeitgemäß und immer querköpfig, „die Angst der Zeit zu deuten…, und die Bedrohung der Existenz,… die Alpträume und Visionen nuklearer Vernichtung … aus zitternder Sorge um das Menschenbild und aus zärtlicher Zuneigung zu ihm“ darzustellen.

Roger Loewig, Oostkapelle – Foto © Johannes Vesper

In diesen Tagen 2018 denken die 68er, die gealterten Wohlstandskinder des deutschen Wirtschaftswunders, wehmütig an ihren Aufbruch vor 50 Jahren zurück. In die Welt der Beatles und Blumenkinder passte Roger Loewigs Sicht der Dinge nicht. Aber gegen den damaligen Zeitgeist gründeten 1966 engagierte Studenten und Freunde im Westen die „Gesellschaft der Freunde Roger Loewigs“, verbreiteten und verkauften seine Lithographien auch bei Galerien und trugen so zum Lebensunterhalt des Künstlers bei. In der DDR konnten nach der Haftentlassung von seiner unermüdlichen Lebensgefährtin erneut Kontakte geknüpft und Ausstellungen organisiert werden, z.B. in der Erfurter Ateliergemeinschaft. Darüber wurde der Leiter des Dresdener Kupferstichkabinetts Schmidt und seine Mitarbeiterin Irena Jakimowicz, die spätere Direktorin des Warschauer Nationalmuseums, auf Roger Loewig aufmerksam. So kamen 1966 und 1986 Ausstellungen im Warschauer Nationalmuseum zustande. 1992 bildeten Loewigs Epitaphe die erste Ausstellung eines deutschen Künstlers im Lagermuseum des KZs Auschwitz.

Nach der Übersiedlung in die damalige Bundesrepublik 1972 erhielt R.L ein Stipendium für die Villa Massimo. Seine große Ausstellung 1975 bei der Galerie Baukunst in Köln wurde in der Kunstwelt zur Kenntnis genommen. Aber im Westen, wo sich der Ökonomismus anschickte, die gesamte Gesellschaft zu durchdringen, wo Wachstum und Profit die Verhältnisse zunehmend bestimmten, fühlte er sich, auch hier unzeitgemäß und querköpfig, lange Zeit nicht wohl, trotz privater Ausstellungen bei Freunden in Wuppertal und Berlin, in Norwegen und England und Reisen z.B. 1985 auch nach Zeeland, wo im Haus von Freunden einige schöne und Zeichnungen bzw. Aquarelle entstanden. Aber zurück zu seinem geliebten Hohen Fläming mit den „uralten Feldsteinkirchen wie Schiffe im weiten Roggenmeer“ konnte er erst nach der Wende. Roger Loewig, „dessen Blätter nicht schockieren und kein Geschrei erheben“ starb 1997 nach längerer Krankheit. Seine Blätter „möchten wie ein leiser Hauch sein, der die Stirnen berührt als Mahnung … als Warnung vor der Zerstörung der Erde und ihrer Lebewesen, als eine Bitte um Menschlichkeit“.

Roger Loewig, o.T. (Nachtmahr) – Foto © Johannes Vesper

Anna Schädlich stellt mit ihrem Buch empathisch und sachkundig Leben und Werk Roger Loewigs vor, welches geprägt wurde durch die Katastrophen des 20. Jahrhunderts und die Verhältnisse in der DDR der 50er und 60er Jahre. Die Autorin vermischt teilweise ihre eigene Biographie mit der Loewigs, berichtet über persönliche Erfahrungen und Gespräche mit ihm und seiner Lebensgefährtin Creszentia Troike, zitiert aus seinen Schriften und präsentiert Briefe. Die Stasi-Unterlagen Loewigs und seiner Freunde hat sie eingesehen und mit verarbeitet. Auf ca. 30 Seiten finden sich gute Farbfotos von Loewigs Blättern. So entstand ein facettenreiches, authentisches, lesenswertes und fesselndes Bild dieser wichtigen, deutschen Künstlerexistenz des 20. Jahrhunderts. Buchpublikationen von Roger Loewig, Ausstellungskataloge und weitere Quellen werden im Anhang aufgelistet.
Die Autorin, geb. 1973 in Berlin (Ost) reiste mit ihrer Familie 1977 in die Bundesrepublik aus. Sie studierte Kunstgeschichte, Germanistik und Philosophie.

Anna Schädlich – „O Ikarus, um deinen Flug beneid ich dich. Roger Loewig: Maler Zeichner, Dichter und Freund.“
© 2018 Mitteldeutscher Verlag Halle, 206 S – ISBN 978-3-95462-943-5.
20,-€

Diese Rezension erschien erstmals am 12.02.2018 in den Musenblättern

–> Buchpremiere: Lesung und Gespräch: Anna Schädlich, Moderation: Marko Martin
Mo., 12.03.2018,  20 Uhr, Literaturforum im Brecht-Haus, Chausseestraße 125, Berlin-Mitte

 

Weitere Rezensionen:

 
Hannes Schwenger: Hommage an einen großen Malerpoeten (Potsdamer Neueste Nachrichten und Tagesspiegel vom 1. Juni 2018)

Annemarie Schmidt: Nachruf

… wartet auf mich der buntspecht, der kauz, der rabe, der falke, die nachtigall,
das grün meiner felder, der atem der juniwälder, das gold meiner seen
ich komme

Roger Loewig

 

Wir trauern um Annemarie Schmidt geb. Rodewald † 25. Januar 2018 Mitglied der Roger Loewig Gesellschaft seit ihrer Gründung,
an der Seite der Stiftung Roger Loewig Haus und Mitglied des Freundeskreises von Anbeginn.
Wir sind in Gedanken bei ihren Angehörigen.

 

Die Roger Loewig Gesellschaft
Die Stiftung Roger Loewig Haus
Der Freundeskreis des Roger Loewig Hauses

–> zur Anzeige in der „Märkischen Allgemeinen“ vom 3. Feburar 2018

Vernissage und Lesung anlässlich des 20. Todestages von Roger Loewig

Am 7. November 2017, drei Tage nach der 20. Wiederkehr des Todestages von Roger Loewig, fand im Buchhändlerkeller in 10623 Berlin, Carmerstraße 1, nahe des Steinplatzes, nicht nur die Vernissage einer Ausstellung mit Bildern des Künstlers, kuratiert von Anna Schädlich statt, sondern die Schauspielerin Helene Grass las einige Gedichte und eine Erzählung von Roger Loewig, der nicht nur Maler, Zeichner und Grafiker war, sondern auch ein beeindruckender, starker Poet.

Jürgen Tomm, einer der Verantwortlichen des Buchhändlerkellers, eröffnete den Abend mit einer Rede, die die Kunst und die Persönlichkeit von Roger Loewig zu würdigen wusste. In einem Filmausschnitt konnten die Zuschauer und Zuhörer den Künstler und seine Lebensgefährtin Cenzi Troike sowohl sehen als auch sprechen hören, bevor die Vorstandsvorsitzende der Roger-Loewig-Gesellschaft, Krista Maria Schädlich, über das Leben des Malers, Zeichners, Grafikers und Dichters und die Bedeutung seiner Kunst für die heutige Generation sprach.

Das Publikum bedankte sich mit großem Beifall für die großartige Interpretation der im Anschluss daran gelesenen Texte von Helene Grass und bewunderte die Bilder einer Ausstellung, die den Künstler auf eindringliche Weise ehren.

Eine lebhafte Diskussion im kleineren Kreis machte deutlich, wie sehr dieser Abend und die feine Auswahl der Bilder, die noch bis zum 19.12.2017 jeweils eine Stunde vor und nach den jeweiligen Veranstaltungen im Buchhändlerkeller zu sehen sind, gelungen war.

Foto: Petra Kontschak

Utz Rachowski im Roger-Loewig-Haus
Utz Rachowski im Roger Loewig-Haus (Foto: Jenny Baum)

Lesung am 23. September 2017 im Roger Loewig Haus

Sonniges Spätsommer-Wetter. Im Haus fünfunddreißig Gäste.
Utz Rachowski las aus seinen Erzählungen mit leiser, ganz eigener Stimme. Wohl den tiefsten Endruck hinterließ „Der letzte Tag der Kindheit“. Das Bindeglied zum Haus war „Ich will Roger Loewig nicht vergessen“.
Nach einer Pause, in der man sich stärken konnte, stellte Utz Rachowski sich Fragen der Gäste. Es wurde ein Gespräch miteinander, untereinander. Der entstandene Ernst löste sich in Heiterkeit, als einer der Gäste (männl.) fragte: „Nun sagen Sie mal, woraus machte die Großmutter die Mehlsemmeln?“
Um 18:45 Uhr stieg Herr Rachowski in den Zug nach Berlin. W.W.

Text: Wolfgang Woizick, Foto: Jenny Baum

–> weiteres zum Thema bei „Blickpunkt Brandenburg“

Roger Loewigs Erinnerungen an den Kriegsausbruch – zum Weltfriedenstag

Als ich neun Jahre alt wurde, erhob sich zum ersten Auftritt, nach mancher infernalischen Szene im Proszenium, der Vorhang für das schaurigste Drama unserer Tage: Deutschlands Einfall in Polen, der Ausbruch des zweiten Weltkrieges. 27 Jahre später ist es diese Galerie Warschaus, der Hauptstadt des über viele Zeiten gequälten tapferen polnischen Volkes – gequält nicht zuletzt von den Deutschen –, die mir, einem deutschen Künstler, die erste Ausstellung ermöglicht. In den knappen drei Jahrzehnten zwischen den genannten Ereignissen vollzog und vollzieht sich der Reifungsprozess eines Menschen, der sein Heimatland bitter hassen lernte, um es später doch wieder zu lieben, unlöslich mit ihm verkettet durch Sprache, Freundschaften und Schicksal

Die ersten Kriegstage fanden mich in der niederschlesischen Provinzstadt Oels an eine Straßensperrung gelehnt, den an- und abrollenden Kriegsmaschinen nachgaffend, mitvibrierend mit dem Gerassel und Gedröhn, ringsum nationale Größenwahnhysterie, eine Woche darauf erschienen die Spalten der Gefallenenanzeigen. Die nächsten Jahre verbrachte ich in einer Kleinstadt des besetzten Polens.

Roger Leowig: Bemerkungen zu meinem Leben – Lebenshintergrund meiner Bilder (1966)

Bild: Gesichter des Krieges (1962)